omologation automotive industry

Vor dem Markteintritt kommt die Zertifizierung: Homologation für außereuropäische Fahrzeuge

In der Automobilindustrie ist die Homologation, also die Erlangung einer Betriebserlaubnis, ein wichtiger, aber manchmal nervenaufreibender Prozess. Denn bevor ein neues, serienproduziertes Fahrzeugmodell auf dem europäischen Markt verkauft werden kann, muss der Hersteller diverse regulatorische Hürden überwinden. So muss nachgewiesen werden, dass nicht nur das betreffende Fahrzeugmodell und alle relevanten Systeme den geltenden Regelungen entspricht. Es gilt auch zu beweisen, dass das Herstellerwerk alle geforderten Kriterien erfüllt – etwa was Umwelt- oder Sozialstandards angeht.

 

AKTUELLER STAND DER HOMOLOGATION FÜR SERIENFAHRZEUGE: ÜBERALL NÖTIG - DOCH ÜBERALL ANDERS

Dass Autos eine auf den ersten Blick unübersichtliche Menge von Bestimmungen erfüllen müssen, ehe sie auf den Markt kommen, ist kein europäisches Spezifikum. Überall müssen Fahrzeuge gemäß den gesetzlichen Vorgaben zertifiziert werden. Auch für den derzeit weltweit größten Markt der Automobilindustrie, nämlich dem chinesischen, gibt es derartige Richtlinien. Zwar sind diese grundsätzlich in vielerlei Hinsicht an europäische Regelungen angelehnt - dennoch unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten von den geltenden Bestimmungen in Europa oder in den USA.

Die Grundlage aller relevanten Regelungen, die ein Fahrzeug für eine Zulassung in den Ländern der EU erfüllen muss, bildet die EU-Rahmenrichtlinie 2018/858/EU. Allerdings gibt es über die reine Erlangung der Betriebserlaubnis hinaus noch diverse gesetzliche Vorschriften, die ebenfalls zu erfüllen sind – etwa, was Verbote von Stoffen betrifft, die als Rohmaterialien oder bei der Produktion nicht verwendet werden dürfen. In den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten können zudem in Einzelfällen noch nationale Regelungen gelten, die den Zulassungsprozess als solchen betreffen.

 

KONFORMITÄT VON UNTERNEHMEN UND FABRIK: ANFORDERUNGEN AN EINEN FAHRZEUGHERSTELLER ZUR HOMOLOGATION VON FAHRZEUGEN FÜR DIE EU

Schon lange bevor es an die für den Markteintritt nötige Homologation des Fahrzeugs geht, muss sich der Hersteller einer Prüfung der Voraussetzungen unterziehen. Ziel ist, den Nachweis zu erbringen, dass er in der Lage ist, die Fahrzeuge so zu produzieren, dass die Qualitätsanforderungen stets erfüllt sind.

Dazu gehört, dass der Fahrzeughersteller entsprechende Qualitätsmanagementsysteme – etwa gemäß den Bestimmungen der ISO-Norm 9001 oder weitergehend der IATF 16949 – etabliert hat. Diese stellen sicher, dass nicht nur das Gesamtfahrzeug an sich richtig konstruiert und entwickelt ist, um den zum Homologationszeitpunkt gültigen Bestimmungen zu entsprechen, sondern der Hersteller muss gegenüber der zulassenden Behörde auch sicherstellen, dass das Fahrzeug über den gesamten Produktlebenszyklus, über die gesamte Modelllaufzeit hinweg korrekt produziert werden kann. Dabei ist es sinnvoll, wenn nicht nur die zum Homologationszeitpunkt gültigen Bestimmungen erfüllt sind, sondern auch künftige Regelungen, die noch während des Produktionszeitraums Gültigkeit erlangen werden. Der Hersteller muss also schon vorab Kenntnis über geplante gesetzliche Änderungen haben.

Der erste Schritt für die Zertifizierung des Herstellers ist das Initial Assessment, also die Erstbewertung des Herstellers und des Produktionsstandortes. Dabei muss er auch darlegen, dass ein mit den Bestimmungen konformer Produktions-Steuerungsplan (conformity of production control plan) existiert, der die fortlaufende Einhaltung der relevanten Kriterien sicherstellt. Auch die korrekte Umsetzung der während des Produktlebenszyklus erforderlichen Updates müssen sichergestellt werden.

Sind alle diese Punkte gegeben und nachgewiesen, bestätigt die damit befasste Behörde – beispielsweise das Kraftfahrtbundesamt – das Initial Assessment, also die Erstbeurteilung. In jedem Fall wird vorab auch ein plant audit durchgeführt. Dieses Auditieren des Werks ist zwingend erforderlich, auch bei mehreren Produktionsstätten für jedes Werk. Dabei sind Beauftragte der betreffenden Behörde vor Ort und inspizieren die Fabrik eingehend – angefangen von der Umsetzung der geforderten Qualitätsmanagementsysteme bis hin zum Nachweis der Schulung der Produktionsmitarbeitenden. 

EINZELNE GENEHMIGUNGSVERFAHREN FÜR UNTERSCHIEDLICHE SYSTEME: DIE SYSTEM TYPE APPROVALS

Ist das Hersteller-Zertifizierungsverfahren abgeschlossen, ist der nächste Schritt das Erwirken einer Systemgenehmigung für einzelne Baugruppen. Beispielsweise muss die Erfüllung der geltenden Vorgaben für das Crash-Verhalten als einzelne Systemgenehmigung nachgewiesen werden; oder auch die Anforderungen an das Bremssystem, an die Beleuchtungseinrichtungen oder an vorgeschriebene Assistenzsysteme.

Grundsätzlich kann der Fahrzeughersteller wählen, bei welcher europäischen Behörde er sich um die Homologation bemüht. Dabei ist es durchaus möglich, die unterschiedlichen Systeme bei unterschiedlichen Behörden in unterschiedlichen Ländern und unter Hinzuziehung unterschiedlicher technischer Dienste nachzuweisen. Üblicherweise wird die jeweilige Behörde einen oder mehrere technische Dienste nominieren, die die jeweilige Prüfung quasi im Namen der Behörde abnehmen. Für einen neuen chinesischen Fahrzeughersteller, der in den EU-Markt eintreten will, ist es dabei oft schwierig zu entscheiden, welches Land – also welche Behörde – er sich für welche Systembetriebserlaubnis wählt; und welcher Dienstleister dabei der geeignetste ist.

 

EINEN SCHRITT VOR DEM ZIEL: DIE GESAMTFAHRZEUG-BETRIEBSERLAUBNIS

Erst wenn alle Systemgenehmigungen vorliegen, also wenn für alle Systeme die Konformität nachgewiesen ist, kann eine Gesamtfahrzeug-Betriebserlaubnis – die Whole Vehicle Type Approval – beantragt werden. Die Gesamtfahrzeug-Betriebserlaubnis kann erst erlangt werden, wenn das fertige Fahrzeug in einem der späteren Serie entsprechendem Entwicklungsstand zur Begutachtung vorgestellt werden kann.

Auch hier bleibt es dem Hersteller überlassen, in welchem EU-Land er die Gesamtbetriebserlaubnis erwirken will. Denn liegt sie in einem EU-Land vor, gilt sie EU-weit. Alle Staaten des entsprechenden EU-Abkommens sind ermächtigt, ein Fahrzeug – oder auch einzelne Bauteile – zuzulassen. Des Weiteren sind sie verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedsstaat gewährte Zulassung anzuerkennen.

Hat der Hersteller aber beispielsweise die Zulassung für einen Fahrzeugtyp in einem EU-Staat erwirkt und will er einen neuen Fahrzeugtyp in einem anderen Staat zur Zulassung bringen, muss er dort erneut die Regelungskonformität des Unternehmens und des Herstellungswerkes nachweisen. 

 

ERFORDERLICHE GENEHMIGUNG UND REGISTRIERUNG BEI NATIONALEN BEHÖRDEN

Liegt die Gesamtfahrzeug-Betriebserlaubnis in einem EU-Mitgliedsstaat vor, wird eine Betriebserlaubnisnummer entsprechend der EU-Verordnung 2018/858/EU erteilt. Mit dieser kann der Fahrzeughersteller oder -Generalimporteur im jeweiligen EU-Land die nationale Zulassung erwirken. Dabei wird der Fahrzeugtyp in die jeweilige nationale Genehmigungsdatenbank eingetragen. Nur damit ist daraufhin dem Endkunden die Zulassung möglich.

BESCHLEUNIGTER MARKTSTART DURCH LEAN TESTING: PRÜFUNGEN SCHON WÄHREND DER ENTWICKLUNG

In der kompetitiven Automobilindustrie liegt es klar im Interesse des Fahrzeugherstellers, mit einem neuen Fahrzeugtyp so schnell wie möglich am Markt zu sein. Aber der nötige Homologationsprozess braucht Zeit. Ab dem Zeitpunkt, zu dem das fertig entwickelte Fahrzeug für die Prüfungen zur Verfügung steht, bis zur Erteilung der Gesamtfahrzeugbetriebserlaubnis sind in der Regel rund sechs Monate zu veranschlagen. Diese Zeit, die von den involvierten Behörden benötigt wird, lässt sich kaum verkürzen – wohl aber die Zeit, die für die Vorbereitung der finalen Homologation erforderlich ist.

Lean Testing und virtuelle Entwicklung lauten hier die Schlüsselworte. Viele Systemgenehmigungen lassen sich bereits in der virtuellen Entwicklungsphase durchführen. Das erspart Aufwand und Zeit für den Prototypenbau. Bei Magna nennt sich diese Vorgehensweise Lean Testing. Dabei werden Entwicklungsversuch und Homologationsversuch schon zusammengelegt. Das bedeutet, dass man die gleichen Vorserienfahrzeuge, an denen die letzten Entwicklungsversuche durchgeführt werden, auch für die nötigen Homologationsversuche benutzt.

Das ist dann möglich, wenn man in der virtuellen Entwicklung schon so einen hohen Reifegrad erreicht, dass die letzte Prototypengeneration nicht mehr erforderlich ist. Konkret wird dabei zu den letzten Entwicklungstests der abnehmende technische Dienst mit hinzugezogen, sodass der Entwicklungstest gleichzeitig für die Homologation herangezogen werden kann. Das ist eine gute und erprobte Möglichkeit, eine ganze Fahrzeuggeneration einzusparen – was nicht nur den Marktstart beschleunigt, sondern zudem auch unnötig hohe Kosten vermeidet.

 

 

ZUSAMMENARBEIT MIT EINEM ERFAHRENEN ENTWICKLUNGSPARTNER ERSPART IRRWEGE UND UNNÖTIGEN AUFWAND

Hier zahlt sich die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Entwicklungs- und Homologationspartner in Europa aus, der seine Kompetenz schon in einer Vielzahl von Projekten angewendet und umgesetzt hat. Ein umfassend kompetenter Entwicklungspartner ist mit einem schlagkräftigen und allseitig kompetenten Homologationsteam bestens mit allen geltenden und in der absehbaren Zukunft in Kraft tretenden Regelungen vertraut. Daher kann er den Fahrzeughersteller in allen Fragen der Homologation umfassend unterstützen.

Ein chinesischer Hersteller kann auf diese Weise sicherstellen, dass die produzierten Fahrzeuge die geltenden und kommenden Sicherheits- und Umweltstandards erfüllen. Im Idealfall leistet der europäische Entwicklungsdienstleister diese Unterstützung im Rahmen einer Fahrzeugentwicklung als deren integralen Bestandteil mit, so dass der fertig entwickelte Fahrzeugtyp weltweit vermarktet werden kann.

 

 

GLOBAL GÜLTIGE HOMOLOGATION ERSPART AUFWÄNDIGE NACHENTWICKLUNG

Grundsätzlich werden alle Systeme so ausgelegt, dass sie nicht nur die UNECE-Bestimmungen erfüllen. Diese sind auch von einer Reihe von Nicht-EU-Staaten anerkannt oder in deren nationale Vorschriften übernommen worden. Auch Anforderungen anderer Märkte mit abweichenden Vorschriften können von vorherein mitberücksichtigt werden. So können zeit- und kostenintensive Nachentwicklungen entfallen, wenn der Fahrzeugtyp nach dem Serienstart auf zusätzlichen Märkten eingeführt werden soll.

Einige Märkte erfordern dabei eine abweichende Vorgehensweise. So wird beispielsweise in den USA nicht mit technischen Diensten zusammengearbeitet, um die Konformität mit den geltenden Regelungen zu überprüfen. Hier gibt es auch den Selbstzertifizierungsprozess, bei dem der Hersteller selbst die Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften bestätigt und deshalb für deren Einhaltung auch zu 100 Prozent selbst verantwortlich ist.

 

 

HERAUSFORDERUNGEN BEI DER HOMOLOGATION CHINESISCHER FAHRZEUGE

Vorgänge, wie sie vor knapp 20 Jahren noch vorkamen, als ein chinesisches SUV mit ausbaufähigen Ergebnissen bei Crashtests auf sich aufmerksam machte und deshalb allenfalls per Einzelzulassung verkauft werden konnte, sind heute kaum noch denkbar. Chinesische Hersteller sind heute auf einem weltweit kompatiblen Stand, was die hardwareseitige Qualität der Fahrzeuge angeht. Insofern sind negative Überraschungen bei den physischen Homologationsprüfungen nicht mehr zu erwarten.

Dennoch kann es auch in der Schlussphase der Entwicklung passieren, dass Funktionen im Detail nicht den Anforderungen entsprechen. Das sind allerdings in der Regel Nachbesserungen auf Software-Ebene, die dann entsprechend kurzfristig und ohne Bauteiländerungen durchführbar sind. Auch softwareseitige Änderungen, die im Bemühen um Erfüllung zusätzlicher Kundenanforderungen erforderlich werden, die ursprünglich noch nicht berücksichtigt wurden, können neue Herausforderungen mit sich bringen.

Auch hier hilft dem chinesischen Fahrzeughersteller ein kompetenter europäischer Partner, der die gesamte Entwicklung begleitet. Er kann die nötigen Modifikationen nicht nur erkennen, sondern auch zeitnah umsetzen, um so die Risiken einer Nichterfüllung bei der finalen Homologation zu vermeiden.

 

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Jan Fischelschweiger

Jan Fischelschweiger

Jan Fischelschweiger hat sich nach dem Studium der Fahrzeugtechnik an der FH Joanneum in Graz schon früh auf den Bereich der Homologation spezialisiert. Er war bereits im Praxissemester und im Zuge seiner Diplomarbeit bei Magna in der Abteilung Homologation tätig. Seit 2006 ist er fest in der Homologation bei Magna beschäftigt und mittlerweile zum Gruppenleiter aufgestiegen.

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