DER STRATEGISCHE EINKAUF BEGINNT MIT DER AUSWAHL DER RICHTIGEN LIEFERANTENBASIS
Bei neuen Projekten sind in vielen Fällen ganz neue Aspekte für das Sourcing zu berücksichtigen. So gewinnt der Bereich der Nachhaltigkeit – insbesondere ein kleiner CO2-Footprint – an Bedeutung und wird mittlerweile sowohl von den Fahrzeugherstellern als auch von Lieferanten und Unterlieferanten gefordert. Also hat er auch Einfluss auf deren Auswahl. Hier muss der Auftragsfertiger beim Sourcing sehr flexibel sein.
Dazu kommt, dass neue Projekte – insbesondere der Wandel weg vom Verbrenner und hin zur E-Mobilität – oft auch die Zusammenarbeit mit einer neuen Art von Lieferanten erfordert. Das betrifft gleichermaßen die etablierten Fahrzeughersteller, die ihr Produktportfolio umstellen und erneuern, und insbesondere die Arbeit für die sogenannten New Entrants, die Neueinsteiger in die Automobilbranche. Deren E-Auto-Projekte werden beispielsweise keine Lieferanten für Verbrennermotoren, Tanks und Abgasanlagen erfordern, dafür solche für E-Motoren und Antriebsbatterien.
NEUE TECHNOLOGIEN ERFORDERN NEUE LIEFERANTEN
Der Wandel erstreckt sich nicht nur auf die Bauteile des Antriebsstrangs, sondern auch auf Fahrwerkskomponenten. Diese sind aufgrund des höheren Gewichts bei Elektrofahrzeugen anderen Belastungen ausgesetzt als bei herkömmlichen Verbrennungsfahrzeugen. Daher müssen sie neu beschafft werden.
Darüber hinaus gibt es neben den zahlreichen Steuergeräten, einschließlich der Electronic Drive Unit (EDU), auch einen Hochspannungskabelbaum, der im BEV oder Hybridfahrzeug zusätzlich zum Niederspannungskabelbaum vorhanden ist.
Dazu kommt bei allen neueren Fahrzeugen, egal, mit welcher Antriebstechnik, der Bereich der Software. Software-Features gewinnen immer höhere Bedeutung und müssen ebenfalls in den Einkaufsstrategien berücksichtigt werden.
AM ANFANG WAR DIE QUALITÄT
Das wichtigste Schlüsselkriterium, das ein Auftragsfertiger bei der Lieferantenauswahl zu berücksichtigen hat, ist – natürlich – die geforderte Qualität. Diese steht über allem anderen. Als weltweit präsentes und agierendes Unternehmen arbeitet Magna nur mit ebenfalls international präsenten Lieferanten zusammen. Demnach ist auch Globalität ist ein wichtiges Kriterium bei Einkaufsstrategien in der Automobilproduktion. Das betrifft unter anderem auch Aspekte der Nachhaltigkeit: Jedes zugelieferte Teil von einem Lieferanten, der beispielsweise in Mexiko sitzt, hat insgesamt einen ungleich höheren CO2-Footprint, als wenn es in einem europäischen Werk hergestellt wird und nicht so weit transportiert werden muss. Neben dem Nachhaltigkeitsaspekt spielen auch die Transportkosten eine nicht unwesentliche Rolle.
DER PLATTFORMGEDANKE BEI ETABLIERTEN FAHRZEUGHERSTELLERN: GÜNSTIGE KONDITIONEN FÜR DEN AUFTRAGSFERTIGER
Der Auftragsfertiger ist, je nach Projekt, nicht völlig frei bei der Auswahl der Lieferanten. Sie muss immer in enger Abstimmung mit dem Fahrzeughersteller erfolgen und ist in manchen Fällen sogar von diesem vorgegeben. Das kann sehr positiv sein, denn durch die großen Einkaufsmengen von Komponenten, die in mehreren unterschiedlichen Baureihen Verwendung finden, auch Carry Over Parts genannt, kann der Fahrzeughersteller günstige Konditionen aushandeln, an denen dann auch der Auftragsfertiger partizipiert.
Bei allen Teilen, die Magna in Graz in seiner Eigenschaft als Entwicklungsdienstleister für ein neues Fahrzeugprojekt im Auftrag des Kunden entwickelt, wird man als Fertigungspartner auch die in Frage kommenden Lieferanten suchen, verhandeln und das Gesamtpaket, bestehend aus Teilepreisen, Rabatten, Einmal- und Logistikkosten, bewerten. Aus dieser Vorschlagsliste mit einer entsprechenden Reihenfolge und Vergabeempfehlung kann der auftraggebende Hersteller dann dieser Empfehlung folgen. Genauso kann er sich aber, etwa aus eigenen strategisch-politischen Gründen heraus, für einen anderen Lieferanten aus der Vorschlagsliste entscheiden.
ACTIVE SUPPLIER RISK MANAGEMENT – PROAKTIV AGIEREN, LANGE BEVOR EIN PROBLEM AUFTRITT
Durch die feste und enge Zusammenarbeit mit den Zulieferern ist ein Fertigungsbetrieb immer auch abhängig von diesen. Denn der unerwartete Totalausfall eines Lieferanten könnte zum Stillstand der Automobilproduktion führen. Deshalb gehört es auch zu den Einkaufsstrategien eines Auftragsfertigers, ständig die Zuverlässigkeit der Lieferanten zu überwachen, um rechtzeitig gegensteuern zu können, wenn Risiken drohen.
Dabei wird in regelmäßigen Abständen nicht nur die finanzielle Stärke des Lieferanten beurteilt. Er wird auch fortlaufend hinsichtlich der ESG-Kriterien untersucht: Environmental, Social and Governance, also auf die Themen Umwelt, Sozialverhalten und Unternehmensethik. Die Befunde dieser Untersuchungen fließen in eine fortlaufende Lieferantenbeurteilung ein – und spielen so eine wichtige Rolle bei zukünftigen Sourcing-Entscheidungen.
Das letzte Wort hat in jedem Fall der Hersteller. Aber auch für ihn ist es vorteilhaft, wenn der Auftragsfertiger ein eigenes Risk Management im Einkauf betreibt. Mit allen Instrumenten zur Lieferantenbeurteilung – und mit einer vorhandenen zuverlässigen Lieferantenbasis – hat ein Auftragsfertiger einen strategischen Vorteil gegenüber einem reinen Fertigungsbetrieb, dem diese Werkzeuge fehlen.
GÜNSTIGE KONDITIONEN IM INTERESSE DES AUFTRAGGEBERS
An günstigen ausgehandelten Konditionen verdient der Auftragsfertiger nicht direkt. Es sei denn, es handelt sich um ein Risk-and-Opportunity-Modell. Im Regelfall werden die bezogenen Teile für die Automobilproduktion an den OEM weiterverrechnet. Allerdings fallen die Stückpreise durchaus ins Gewicht, wenn es um die Kalkulation der gesamten Herstellkosten des betreffenden Fahrzeugs für den Hersteller geht.
Für den Auftragsfertiger relevant können aber die Gesamtkosten eines Teils über den gesamten Lebenszyklus des betreffenden Fahrzeugs hinweg sein – der sogenannten Value over Buy. Darunter fallen neben den Stückpreisen für das betreffenden Bauteil nicht nur die Logistikkosten, sondern auch Entwicklungskosten oder Werkzeugkosten für das Teil. So sind gesamtheitlich betrachtet Fälle möglich, in denen ein Lieferant mit einem sehr günstigen Stückpreis dennoch beim Value over Buy ungünstig abschneidet, weil er beispielsweise höhere Logistik- oder Entwicklungskosten hat.
SE-TEAM: BEWERTUNG WÄHREND DER ENGINEERING-PHASE
Einkaufsstrategien werden nicht erst aktiv, wenn konkret Teile zu beschaffen sind, sondern sind schon im SE-Team vertreten. Das sogenannte ‚Kleeblatt‘ besteht aus dem Funktionen Engineering, Supplier Quality Assurance, Logistik und Einkauf. Im Team wird bei jedem Bauteil vorab untersucht, ob es wirklich neu konstruiert und entwickelt werden muss. Oder ob es günstiger ist, ein auf dem Markt verfügbares Teil einzusetzen, bei dem faktisch keine Entwicklungskosten und geringere Werkzeugkosten anfallen.
Entscheidend ist letztlich dabei auch, wie groß der Nutzen einer Neuentwicklung für den Kunden ist. Und dabei ist durchaus auch der Endkunde gemeint, der das Fahrzeug kauft. Hat das Engineering zwar die Idee für eine funktional besonders raffinierte Baugruppe, die aber das Endprodukt signifikant verteuern würde, ohne dem Endkunden wesentlichen Zusatznutzen zu bringen, ist es von der Fahrzeugklasse abhängig, ob diese teurere Lösung zum Einsatz kommt. Darüber wird dann wieder zusammen mit dem Kunden entschieden. Wünscht der sich beispielsweise zusätzliche Funktionen, werden die entstehenden Kosten im Rahmen des Change-Management-Prozesses verhandelt.
AKTIVES MANAGEN DES LIEFERANTEN-PORTFOLIOS AUCH IN LAUFENDEN PROJEKTEN
Bei neuen Projekten für einen Fahrzeughersteller, mit dem schon längere Zeit zusammengearbeitet wird, kommen zunächst bewährte und in vorangegangenen Projekten gut bewertete Lieferanten in die engere Auswahl. Allerdings wird auch ein umsichtiger Auftragsfertiger – ebenso wie ein solcher Fahrzeughersteller – die bestehende Lieferantenbasis permanent durchleuchten und den Markt untersuchen, um vielleicht neue, noch attraktivere Lieferanten aufzuspüren. Das betrifft nicht nur Fälle, in denen neue Technologien ohnehin ein neues Sourcing erfordern.
Auch der ständige offene Austausch mit bestehenden Lieferanten spielt hier eine wichtige Rolle, weil auch die sich weiterentwickeln. Beispielsweise wenn ein Lieferant sein Portfolio um neue Produkte erweitert oder er im Zuge des Mobilitätswandels seinen Schwerpunkt verändert. Dann kann er für künftige Projekte zum interessanten Partner in einem Bereich werden, den er bisher nicht abgedeckt hat. Daher ist eine profunde Marktkenntnis auch über eine ständige Marktbeobachtung unabdingbar, um bei neuen Projekten die optimale Auswahlbasis bereitstellen zu können.
LIEFERANTENWECHSEL IN LAUFENDEN PROJEKTEN
In Ausnahmefällen kann der Lieferant für bestimmte Komponenten auch während der Automobilproduktion einer laufenden Serie gewechselt werden. Ein Grund dafür kann etwa sein, wenn der bisherige Lieferant unsicher zu werden droht, weil er in eine finanzielle Schieflage gekommen ist. In derlei Fällen muss der Auftragsfertiger rechtzeitig vorbeugend aktiv werden und seine Einkaufsstrategien ändern. Etwa, um ein neues Sourcing vorzunehmen, damit eigene Produktionsengpässe nicht durch einen Lieferausfall riskiert werden.
Ebenfalls möglich ist, die Lieferantenbasis aus Umweltgründen oder im Hinblick auf das sogenannte Lieferkettengesetz zu überdenken: Kann man Bauteile auch von einem näher gelegenen Lieferanten beziehen, sodass weniger umweltbelastender Transportaufwand entsteht? Verwendet der bisherige Lieferant umweltgefährdende Stoffe, missachtet er wichtige Arbeitsschutzvorschriften?
Allerdings ist ein Lieferantenwechsel in der laufenden Serie immer heikel und bedarf längerer Vorbereitungs- und Umstellungszeit – nicht nur, was die Fertigungswerkzeuge betrifft. Dazu muss man in der Fahrzeugproduktion einen entsprechenden Vorlauf aufbauen. In besonderen Fällen, etwa bei sicherheitsrelevanten Bauteilen, muss man möglicherweise auch einen Teil der Fahrzeugerprobung wiederholen.
DIE EXTERNEN HERAUSFORDERUNGEN: HÖHERE GEWALT?
Relativ machtlos steht ein Auftragsfertiger den Herausforderungen gegenüber, die durch externe Ereignisse oder Situationen entstehen. Gegen einen Lieferstopp wichtiger Komponenten aufgrund von Kriegsereignissen oder Pandemien kann weder der Lieferant noch der Fertigungsbetrieb von sich aus etwas unternehmen. Unvorhergesehene Kostensteigerungen durch gesetzliche Maßnahmen oder sprunghaft steigende Rohstoff- oder Energiepreise wird der Lieferant an den Auftragsfertiger ebenso weitergeben müssen wie an einen Fahrzeughersteller direkt. Allerdings führt der Einkauf eingehende Kostenanalysen und Benchmark-Vergleiche durch, um zu prüfen, ob die Preisanstiege seitens des Zulieferers plausibel und gerechtfertigt sind. Bei Bedarf werden Verhandlungen neu aufgenommen. Andererseits sind auch eventuelle Effizienzsteigerungen beim Lieferanten ein Grund, nachzuverhandeln. Denn die Preissteigerungen 1:1 an den Auftraggeber, also den Fahrzeughersteller, weiterzugeben, ist im Regelfall nicht möglich.
NEUE INSTRUMENTE IM ZEITALTER DER „INDUSTRIE 4.0“
Die Einkaufsstrategien in der Automobilproduktion haben sich im Laufe der Jahre verändert. Die immer umfassendere Digitalisierung birgt Möglichkeiten, durch intelligentere Produktionsteuerung die Qualität und Effizienz auch beim Zulieferer zu optimieren – und damit letztlich die Kosten für den Einkauf von Zulieferteilen zu senken. Magna ist als Auftragsfertiger dabei durchaus daran interessiert, den Lieferanten bei solchen Maßnahmen zu Kostensenkung zu unterstützen, auch durch Instrumente wie den gemeinsamen Materialeinkauf oder die Materialbeistellung.
Letztlich müssen dabei alle verfügbaren Werkzeuge genutzt werden, um im SE-Team von Anfang an und in der laufenden Serienproduktion zu einem Optimum zu gelangen. Alle müssen an einem Strang ziehen, um letztlich dem Fahrzeughersteller ein attraktives Angebot machen zu können.
In allen Bereichen, von der proaktiven Lieferantenbewertung, der Lieferantenauswahl selbst, sowie dem SE-Team in der Projektphase, ist der Einkauf eine zunehmend Daten bewertende und verarbeitende Organisation geworden. Dabei greift der Einkauf auf ein Netzwerk von Systemen, welche auf die Arbeitsmethoden abgestimmt sind, zurück.
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